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Ein offener Brief von Schwarzen Künstler*innen und Kulturschaffenden an Schweizer Kunstinstitutionen
Dienstag, 09. Juni 2020

In einem offenen Brief fordern über 50 Schwarze Künstler*innen und Kulturschaffende, die beruflich in der Schweiz tätig sind, Schweizer Kunstinstitutionen und -organisationen auf, ihre symbolischen Bekenntnisse in den sozialen Medien gegen strukturelle Diskrimierung von Schwarzen Personen, in konkretes Engagement in den eigenen Häusern zu übersetzen.

Schweiz, 9 Juni 2020

Wie werden Sie in Zukunft Schwarze Künstler*innen und Kulturschaffende proaktiv unterstützen? Wie werden Sie aktiv Strukturen der White Supremacy und die damit einhergehenden rassistischen Attribute innerhalb Ihrer Institution abbauen?

Liebe Kulturinstitutionen, Museen, Kunsträume, Galerien und Off-Spaces in der Schweiz,

Nach den brutalen Ermordungen von Breonna Taylor, Tony McDade, George Floyd, Ahmaud Arbery, David McAtee und unzähligen weiteren Schwarzen Menschen durch die Polizei in den letzten Wochen in den USA erleben wir derzeit eine weltweite Welle der Empörung. Letzten Dienstag beschlossen viele Institutionen und Einzelpersonen ein schwarzes Quadrat oder andere vergleichbare Solidarität signalisierende Posts auf Ihren sozialen Medien zu verbreiten. Nun möchten wir Sie zu einer tieferen Auseinandersetzung mit antirassistischen Praktiken einladen, damit das schwarze Quadrat nicht bloss ein Akt des performativen Aktivismus bleibt, sondern die Beziehung zwischen Schwarzen Künstler*innen und Kulturschaffenden und Kunstinstitutionen hier in der Schweiz gestärkt wird.

Wir verstehen, dass die Reaktion in erster Linie auf die rassistische Polizeigewalt und den Rassismus gegen Schwarze Menschen in den USA hinweisen sollte, doch müssen wir darauf Aufmerksam machen, dass White Supremacy (weisse Vorherrschaft) ein globales Problem ist. Eines, mit dem auch wir in der Schweiz konfrontiert sind. In den letzten Jahren wurden in Lausanne und Bex mindestens drei Schwarze Männer von der Polizei getötet: Mike Ben Peter, Lamine Fatty and Hervé Mandundu. Keiner ihrer Mörder ist je verurteilt worden, so dass weder diesen Männern noch ihren Familien Gerechtigkeit widerfahren ist. Dabei ist mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass viele Übergriffe aufgrund von Racial Profiling durch die Polizei selten mit einer Anklage gegen die Polizei enden. Die prominentesten Fälle sind die von Mohamed Wa Baile und Wilson A.

Während diese Beispiele auf die extremsten Formen des erlebten Rassismus in der Schweiz verweisen, müssen wir anerkennen, dass der anti-Schwarze Rassismus direkt auf White Supremacy zurückgeführt werden muss. Es ist ein unterdrückendes System von Überzeugungen und diskriminierenden Vorurteilen, das allen Strukturen im Westen innewohnt.

Viele von uns Schwarzen Künstler*innen und Kulturschaffenden, die beruflich in der Schweiz tätig sind, haben im Laufe ihrer Karrieren Rassismus und Diskriminierungen durch kulturelle Institutionen und Organisationen verschiedener Ausmasse erfahren. Bisweilige Versuche, diese Erlebnisse anzusprechen, führten oft zu heftigen Reaktionen wie Drohungen oder Einschüchterung. Einige unter uns erlitten schwere Schäden an ihrem professionellen Ruf. Zu unserem großen Entsetzen haben wir festgestellt, dass diese gewaltsamen Übergriffe nicht abgenommen haben, seit Diversität in den letzten Jahren in der internationalen zeitgenössischen Kunst- und Kulturwelt zu einem gängigen Begriff und erstrebenswerten Standard geworden ist. Es gibt offensichtlich keine Grenzen für Dimensionen, in der sich der Rassismus aufrechterhält, ob es sich nun um die Polizei oder das Kunstmuseum handelt. Entsprechend überrascht es kaum, dass wir besonders frustriert und bestürzt darüber sind, dass dieselben Institutionen heute in den sozialen Medien antirassistische Positionen beanspruchen.

Wir gehen davon aus, dass Sie mit der Platzierung des schwarzen Quadrats oder anderer vergleichbarer Beiträgen der Öffentlichkeit zum Ausdruck bringen wollten, dass sich Ihre Institution nicht an rassistischen Praktiken orientiert. Wir werden nun darauf eingehen: Wir bitten Sie hiermit, wirkliche Verantwortung zu übernehmen und über die Ebene der sozialen Medien hinaus tätig zu werden. Wir bitten Sie, tatsächliche, konkrete Veränderungen umzusetzen und eine führende Rolle einzunehmen, wenn es um antirassistische Praktiken in der Kunst und Kultur der Schweiz geht.

Wir haben eine Reihe von Fragen zusammengestellt, um Ihr Handeln gegen strukturellen Rassismus und White Supremacy in Ihren eigenen Strukturen selbst einzuschätzen und zu hinterfragen. Diese können als Wegweiser dienen, um zu ermitteln, welche Aspekte Ihrer Bemühungen noch mehr Engagement erfordern. Wir bitten Sie daher dringend, sich die Zeit zu nehmen, auf diese Fragen ehrlich zu antworten und alle notwendigen Schritte einzuleiten, um zukünftig jede dieser Fragen positiv beantworten zu können:

Programm, Zusammenarbeit mit Schwarzen* Künstler*innen und Kulturschaffenden:

  1. Wie viele Schwarze Künstler*innen sind in Ihren Galerien, Sammlungen und Programmen, Ihren Residency-Programmen und Stipendien vertreten?

  2. Wie viele Schwarze Künstler*innen und Kulturschaffende laden Sie zur Teilnahme an Ausstellungs- und Veranstaltungsprogrammen ein, die nicht von Themen wie Rassismus, Dekolonialität oder um das Thema des Schwarz-seins handeln?

  3. Entlohnen Sie alle Schwarzen Künstler*innen und Kulturschaffenden, die in Ihrem Programm vertreten sind? Werden sie für ihre Arbeit genauso entlohnt wie ihre weissen Kollegen?

  4. Profitieren Sie von unentgeltlicher Arbeit von Schwarzen Künstler*innen und Kulturschaffenden in Form von Empfehlungen für Programmgestaltung oder Talks oder als Pädagog*innen respektive Berater*innen? Welche Formen der Entschädigung wurden bereits berücksichtigt?

Personal, Organisationsstruktur und Leitung:

  1. Wie viele Schwarze Personen sind in Ihrer Institution angestellt? Wie viele von ihnen sind in kuratorischen Teams, Komitees oder anderen Führungspositionen innerhalb Ihrer Institution? Wie viele von ihnen sind mit unbefristeten Arbeitsverträgen beschäftigt?

  2. Was für politische Positionen haben die einzelnen Mitglieder in Ihren Vorständen, Jurys oder anderen Leitungsgremien? Sind sie bezüglich der Lebensrealität Schwarzer Künstler*innen und Kulturschaffender sensibilisiert? Wie viele von ihnen sind Schwarze Personen?

  3. Gibt es ethischen Richtlinien in ihrer Institution, die Sie darin einschränken, Gelder von privaten Spendern oder Organisationen anzunehmen, die koloniale, rassistische und diskriminierende Praktiken verfolgen und somit der Schwarzen Bevölkerungen direkt oder indirekt Schaden zufügen?

  4. Wie stellen Sie sicher, dass Schwarze Angestellte, Künstler*innen und Kulturschaffende den Raum haben, um Diskriminierungen zu äussern, welche sie während ihrer Arbeit in Ihrer Institution erleben? Wie unterstützen sie Schwarze Personen aktiv und lautstark, welche Diskriminierung innerhalb Ihrer Institution erleben und ansprechen?

  5. Ist Ihre Institution oder Organisation jemals des Rassismus beschuldigt worden? Welche Massnahmen treffen Sie, damit sich die Person, die eine Beschwerde äussert, sicher fühlen kann? Wie verhandeln und dokumentieren Sie Beschwerden öffentlich? Welche Formen der Entschädigung leisten Sie in solchen Fällen?

*Hinsichtlich all dieser Fragen beziehen wir uns in erster Linie auf Schwarze Künstler*innen und Kulturschaffende, die in der Schweiz ansässig oder tätig sind. Als zweiten Schritt können Sie sich die genannten Fragen in Bezug auf internationale Schwarzer Künstler*innen und Kunstschaffenden beantworten.

Diese Fragen sollen Ihnen als Leitfaden für nachhaltige Veränderungen helfen. Wir ermutigen Sie dazu, Ihre Antworten mit Ihrem Publikum öffentlich zu teilen, Zielsetzungen für eine verbesserte Praxis festzulegen und Ihr Engagement, eine fundamental antirassistische Organisation zu werden, regelmäßig zu überprüfen.

Anti-Schwarzer Rassismus ist lediglich eine der repressiven und diskriminierenden Erscheinungsformen der White Supremacy. Xenophobie und Rassismus hat sich in unserer Gesellschaft auch gegen non-Black People of Colour manifestiert. Obgleich sich unser Brief auf die Fragen im Zusammenhang mit dem anti-Schwarzen Rassismus fokussiert, fordern wir, dass entsprechende Schritte unternommen werden, um gegen jegliche Formen der Diskriminierung vorzugehen. Wir appellieren an alle Beteiligten einen intersektionalen Anspruch zu vertreten und die Schnittstellen von Rassismus mit Ableismus, Homophobie, Klassismus, Sexismus und Transphobie anzuerkennen und alle notwendigen Mittel zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die zeitgenössische Kunst und Kulturszenen der Schweiz jenseits der öffentlich präsentierten Solidarität und Tugenden nachhaltig an Vielfalt und Inklusivität gewinnt und dementsprechend handelt.

Best,

Alfatih Adji Dieye Akosua Viktoria Adu-Sanyah Ananda Schmidt Ann Kern
Ariane Mawaffo
Brandy Butler
Camille Luce Bibiwango Tomatala
Mark Damon Harvey
Cédric Djedje
Chienne de Garde
Daniska Tampise Klebo
Deborah Joyce Holman
Diane Keumo
Doreen Yomoah
Edwin Arsenio Ramirez Garcia
Emmanuel Mbessé
Evariste Maïga
Fatima Moumouni
Gemma Ushengewe
Ivan Larson
Ivy Monteiro
James Bantone
Jasmine Gregory
Jeremy Nedd
Jessy Razafimandimby
Joshua Amissah
Juline Michel
Kapi Kapinga Grab
Kayije Kagame
Legion Seven
Lucas Erin
Lynn Aineomugisha
Lynne Kouassi
Maïté Chéniere
Marc Asekhame
Marlène Lokosha
Marvin M’toumo
Marilyn Umurungi
Mathias Pfund
Mbene Mwambene
Meloe Gennai
Michelle Akanji
Manutcher Milani
Nayansaku Mufwankolo
Nina Emge
Noémi Michel
Olamiju Fajemisin
Rahel El-Maawi
Ramaya Tegegne
Robin Bervini
Ruth Noemi Bendel
Safi Martin Yé
Sherian Mohammed Forster
Soraya Lutangu (Bonaventure)
Tapiwa Svosve
Tayeb Kendouci
Tina Reden
Tisalie Mombu
Titilayo Adebayo
Tracy September
Yara Laurine Dulac Gisler
Yul Roy Tomatala

Dieser Brief ist addressiert an

Atelier Mondial Basel
Ausstellungsraum Klingental Basel
A.ROMY
Art Basel
Art Genève
Art-werk Geneva
Body Archive Projects Zürich
Bild Zürich
Cabaret Voltaire Zürich
Centre d’art contemporain Genève
Centre d’édition contemporaine Genève
CAN Centre d’art de Neuchâtel
Centre de la photographie Genève
Centre culturel suisse Paris
Christophe Guye Galerie Zürich
Dampfzentrale Bern
Dr Kuckuckslabrador Basel
Edition VFO Zürich
Engadin Art Talks
Fabienne Levy Lausanne
Fondation Beyeler Basel
Fondation L’Abri Genève
Fri Art Kunsthalle Fribourg
Galerie C Neuchâtel
Galerie Eva Presenhuber Zürich
Galerie Gregor Staiger Zürich
Galerie Maria Bernheim
Galerie Mezzanin Genève
Galerie Peter Kilchmann
Halle Nord Genève
Hamlet Love Zürich
Hauser & Wirth Zürich
Haus Konstruktiv Zürich
Institut Kunst Basel
Istituto Svizzero Milano Roma
Je Vous Propose Zürich
Karma International Zürich
Kein Museum Zürich
Klöntal Triennale
Kunsthalle Basel
Kunsthalle Zürich
Kunsthalle Winterthur
Kunsthaus Glarus
Kunsthaus Zürich
Kunsthaus Baselland
Kunstmuseum Basel
La Becque La Tour-de-Peilz
Les Créatives Genève
Lullin + Ferrari Gallery Zürich
Liste art fair Basel
Luzerner Theater
Mai 36 Galerie Zürich
Mamco Genève
Migros Museum Zürich
Mikro Zürich
Neverland Kunstland Creux du Van
One gee in fog Genève
Oncurating Space Zurich
Pasquart Biel/Bienne
Philipp Zollinger Galerie Zürich
Roehrs & Boetsch Stäfa Zürich
Sattelkammer Bern
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Smallville space Neuchâtel
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Südpol Luzern
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Von Bartha Basel
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